Zinskommentar

von Asger Nielsen

 

Die Anleihemärkte zeichnen sich in jüngster Zeit durch eine hohe Volatilität aus. Die Zinsen springen in einem bisher nicht gekannten Ausmaß auch während des Handelstages auf und ab. Zuletzt haben wir dies im Jahr 2008 während der großen Finanzmarkt- und Bankenkrise erlebt.


Wie ist es zu dieser hohen Volatilität gekommen und wie ist sie zu deuten?


Wir verfolgen den Markt seit 1985. In dieser Zeit hat die Volatilität stetig zugenommen. Früher fand der Anleihenhandel in der Regel zwischen 9 und 10 Uhr morgens statt. Zu diesem Zeitpunkt waren alle Orders des Tages abgewickelt und das Fixing für den Tag stand fest. Der Händler konnte im Prinzip Feierabend machen.


Durch die Digitalisierung und Vernetzung sind die Märkte weltweit rund um die Uhr geöffnet. Die Marktinformationen erreichen die Reuters- und Bloomberg-Abonnenten im Sekundentakt, d.h. die Händler reagieren alle gleichzeitig und können sich mehrmals am Tag neu positionieren. Folglich haben die technologischen Innovationen dazu geführt, dass sich Unsicherheiten schneller und mit deutlicheren Ausschlägen an den Märkten niederschlagen. Händler gehen davon aus, dass eine hohe Volatilität eine Rezession signalisiert. Deshalb sind die Zinsen in den vergangenen Wochen gefallen.


Anleiheinvestoren wetten auf eine bevorstehende Rezession in den USA. Dies zeigt sich besonders deutlich an der Zinsstrukturkurve, die auf den steilsten monatlichen Anstieg seit Oktober 2008 zusteuert, nachdem Händler ihre Wetten auf weitere Zinserhöhungen in diesem Jahr aufgelöst haben und nun von Zinssenkungen in der zweiten Jahreshälfte ausgehen. Diese Marktmeinung gilt trotz der Äußerungen des Fed-Vorsitzenden Jerome Powell, der diese Woche andeutete, dass er nicht an Zinssenkungen vor 2024 denkt.


Im vergangenen Jahr haben sich die Anleihemärkte oft geirrt, als sie eine Wende zu niedrigeren Zinsen erwarteten. 


Letzte Woche hat die Fed die Zinsen nur um 0,25 % erhöht. Warum? Weil die Probleme der mittelgroßen US-Banken dazu führen könnten, dass Kredite für die Wirtschaft teurer werden oder gar nicht mehr vergeben werden. Das würde wie eine Zinserhöhung/Liquiditätsentzug wirken. Nur weiß niemand, ob es dazu kommt, wann es dazu kommt und wie stark der Effekt sein wird. Die Anleihemärkte scheinen davon auszugehen, dass der Effekt stark sein wird.


Die Märkte und auch die volkswirtschaftlichen Abteilungen der Banken gehen aufgrund dieses konstanten Liquiditätsentzugs davon aus, dass der US-Wirtschaft noch im Jahr 2023 eine (milde) Rezession bevorsteht. Ferner wird erwartet, dass die Rezession zu einem Rückgang der Inflation führt. Beides muss eintreten, damit die Wette der Anleihemärkte, die aktuell Zinssenkungen von 70 bis 100 Basispunkte im Jahr 2023 einpreisen, aufgeht.


Dagegen spricht die Befürchtung, dass die Rezession nicht stark genug ausfallen könnte, um zu einem Rückgang der Inflation zu führen. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass wir in eine Stagflation geraten. Das bedeutet, dass die Inflation trotz steigender Arbeitslosigkeit nicht zurückgeht. Warum ist das kein unrealistisches Szenario? Erstens ähnelt die aktuelle Situation an die Energiekrise in den 70er Jahren. Damals wie heute sind die Arbeitsmärkte angespannt. Die Beschäftigung ist hoch und es gibt viele offene Stellen. Zweitens werden in den USA und in der EU Ausgabenprogramme in drei Bereichen aufgelegt, die den Zinserhöhungen entgegenwirken:


  • Militärische Aufrüstung
  • Energiewende
  • De-Globalisierung (z.B. wenn die Chipindustrie oder die Batterieproduktion mit Subventionen von Asien in die EU/USA verlagert wird).


Diese Investitionsmaßnahmen werden in Märkten mit annähernder Vollbeschäftigung durchgeführt, was dazu führen könnte, dass die Rezession ausbleibt bzw. stark abgemildert wird. In der Folge bliebe die Inflation längere Zeit über dem Zielwert von 2 %. Dadurch könnten sich Arbeitnehmer und Unternehmen veranlasst sehen, ihre Inflationserwartungen auf einem höheren Niveau zu „verankern“.


Die Zentralbanken wissen das. Deshalb werden sowohl Powell als auch die europäischen Notenbanker nicht müde, weitere Zinserhöhungen anzukündigen und zu betonen, dass sie den Leitzins „länger“ hochhalten werden. Die Aufgabe der Zentralbank ist die Geldwertstabilität. Das heißt, die Inflation muss bekämpft werden, auch in Stagflationsphasen. Den Notenbanken bleibt nichts anderes übrig, als die Zinsen so lange zu erhöhen, bis die Inflationsraten wieder deutlicher zurückgehen.


Immobilienbesitzer mit anstehenden Prolongationen befinden sich in einem Dilemma


Eine erfolgreiche Strategie könnte darin bestehen, sich an Tagen, an denen die Zinsen fallen, Geld zu sichern. Auch Forwards für die nächsten 12 bis 18 Monate könnten in Betracht gezogen werden. Eine Abkehr von dieser Empfehlung kann nur in Erwägung gezogen werden, wenn die Inflation deutlich zurückgeht. Nur dann können die Zentralbanken die Zinsen senken.



Berlin, den 29.03.2023

Autor

Asger Nielsen

Partner


asger.nielsen(at)dima-finanzierung.de

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