Das Haus des DAF-Versicherungsrings als Zeugnis des Widerstands gegen den Nationalsozialismus

Das Haus des Deutschen Arbeitsfront-Versicherungsrings an der Ecke Brandenburgische und Westfälische Straße kann seine Herkunft nicht verstecken. Noch heute zeugt das monumentale Portal, flankiert von archaisch anmutenden Fresken, vom Machtanspruch des Nationalsozialismus. Das Gebäude entstand im Zuge der Bebauung des Fehrbelliner Platzes als frühes Zeugnis nationalsozialistischer Stadtplanung. Doch im Gegensatz zu seinen Nachbarn hütet das DAF-Haus bis heute ein Geheimnis. Denn es entstand als Akt des Widerstands gegen den Faschismus. 

Herbert Richter, nach dessen Plänen der Bau zwischen 1936 und 1938 errichtet wurde, war einer der Initiatoren der Widerstandsgruppe Europäische Union. Er und seine drei Mitstreiter Robert Havemann, Georg Groscurth und Paul Rentsch verfügten über intime Kontakte zu den höchsten Nazikreisen. Dadurch gelangten sie an geheime Informationen, die sie an ihr antifaschistisches Netzwerk weitergaben. 

Herbert Richter hatte sich Zugang zum Umfeld Hermann Görings verschafft. Seine inszenatorischen Fähigkeiten, die er als Licht- und Bühnenarchitekt beim Film erworben hatte, qualifizierten ihn als Zeremonienmeister bei Feiern des Reichsluftfahrtministers. Später berichtete seine Frau Maria Richter von der hohen psychischen Belastung, die dieses Doppelleben ihrem Mann abverlangte. Täglich musste er mit den Nazis „lachen und scherzen“ (zitiert nach Florath 118), wohl wissend, dass sich in seinem Haus die Jüdin Elisabeth von Scheven versteckte. 

Ähnlich muss es auch Georg Groscurth ergangen sein, der als Internist und Leiter des Robert-Koch-Krankenhauses in Moabit Rudolf Heß, den Stellvertreter des Führers, behandelte. In den häufigen Konsultationen weihte der Hypochonder seinen Arzt in die Zustände in den Konzentrationslagern und den geplanten Überfall auf die Sowjetunion ein. 

1943 intensivierten sich die Aktivitäten der Gruppe. Über Konstantin Žadkěvič, der ab 1940 Arbeitsdienst in Berlin leisten musste, gelang der Kontakt zu illegalen Gruppierungen unter den Zwangsarbeitern. Damit konkretisierte sich der Plan, diese für den aktiven Widerstand zu organisieren. Zu dieser Zeit arbeiteten mehr als sechs Millionen Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in der deutschen Industrie und Landwirtschaft. 

Nach Ansicht von Bernd Florath hatte die Europäische Union wenig Hoffnung, die NS-Herrschaft im Alleingang stürzen zu können. Vielmehr verfolgte sie das Ziel, eine Organisationsstruktur zu schaffen, die im Falle eines Militärputsches oder einer anderweitigen Schwächung des NS-Regimes unterstützend wirken konnte. Auch leitete sich der Name der Gruppe von dem Vorhaben ab, den „Widerstand gegen den Nationalsozialismus nicht in einem begrenzten deutschen, sondern in einem internationalen Zusammenhang zu leisten“. (Florath 116) 

Deshalb versuchte die Gruppe, über die französische Résistance und Spione aus der UdSSR Kontakt zu den Alliierten aufzunehmen. Leider führten diese Aktivitäten schließlich zur Verhaftung und Zerschlagung der Europäischen Union. Denn nicht wenige der sowjetischen Spione wurden enttarnt und unter Folter zur Preisgabe ihrer Kontakte gezwungen. So erging es auch Otto Heppner, der im April 1943 mit dem Fallschirm über Ostpreußen absprangen. Bei ihm fand sich Material, das Mitglieder der Europäischen Union belastete und es der Gestapo ermöglichte, einen Spion in das Netzwerk einzuschleusen. 

Im September 1943 verhaftete die Gestapo 40 Mitglieder der Europäischen Union, von denen 14 zum Tode verurteilt wurden. Darunter waren Richter, Groscurth, Rentsch und Žadkěvič. Als einziges Gründungsmitglied der Europäischen Union überlebte Havemann die Enttarnung, da seine Giftgasforschung für das Heereswaffenamt als kriegswichtig eingestuft wurde – obwohl er sie selbst sabotierte. Später lebte Havemann in der DDR, wo er sich ab Mitte der Sechzigerjahre als Regimekritiker engagierte.

Die Enttarnung deutscher Widerstandskämpfer durch sowjetische Spione ist kein Einzelfall. Im Zusammenhang mit der Finanzierung eines Wohn- und Geschäftshauses in Hennigsdorf erfuhren wir von der ehemaligen Mieterin Klara Schabbel, die in ihrer Wohnung zwei deutschstämmigen Spionen aus der UdSSR Unterschlupf gewährte. Auch sie wurde entdeckt und im August 1943 hingerichtet. Heute trägt die Straße, in der das Haus steht, ihren Namen. 

Es ist schade, dass eine ähnliche Würdigung des Architekten Herbert Richter am Verwaltungsbau für den Deutschen Arbeitsfront-Versicherungsring fehlt. Ungebrochen verkörpert das Gebäude bis heute den Anspruch der Nazis auf ein Tausendjähriges Reich und wurde doch gebaut, um zu dessen Untergang beizutragen. Nur wer den Bau in seinem städtebaulichen Kontext betrachtet, erkennt in ihm vielleicht einen leisen Anklang an den widerspenstigen Geist seines Architekten. So steckt das keilförmige Gebäude in der rundgeschwungenen Bebauung am Fehrbelliner Platz wie ein Stachel im Fleisch.

von Sebastian Freiseis, 5. Dezember 2024

Quellen:

Friedrich Christian Delius: Mein Jahr als Mörder. Berlin 2004.

Bernd Florath: Die Europäische Union. In: Johannes Tuchel (Hg.): Der vergessene Widerstand. Zu Realgeschichte und Wahrnehmung des Kampfes gegen die NS-Diktatur. Göttingen 2005. S. 114 – 139.