Bauen in Zeiten der Hyperinflation (Berlin zwischen 1919 und 1924)
Als Vermittler für Immobilienkredite haben wir täglich mit Architektur zu tun, ohne sie als solche wahrzunehmen. Um Ihnen die bestmöglichen Finanzierungen bieten zu können, denken wir täglich über Nutzflächen, Nettokaltmieten und Altlasten nach. Dabei verlieren wir die gesellschaftlichen und ästhetischen Aspekte des Bauens leicht aus den Augen. In dieser Kolumne wollen wir einen anderen Blick auf unsere Arbeit werfen.
Die Weimarer Republik (1918 – 1933) gilt als äußerst produktive Epoche der Architekturgeschichte. Während Projekte wie die Stuttgarter Weißenhofsiedlung von 1927 das Wohnen revolutionierten, legte Mies van der Rohe 1921 mit seinem Entwurf für einen gläsernen Wolkenkratzer in der Berliner Friedrichstraße den Grundstein für den modernen Hochhausbau.
Mehr als 220.000 Wohnungen wurden in diesen Jahren in Berlin gebaut. Allerdings entstand ein Großteil davon in der kurzen Phase relativer Stabilität zwischen Währungsreform (1923) und Weltwirtschaftskrise (1929). Dazu gehören auch die Siedlungen der Moderne, die heute zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen.
Die ersten Jahre der Weimarer Republik waren aufgrund kriegsbedingter Materialknappheit, politischer Instabilität und galoppierender Inflation dagegen keine gute Zeit für die Bauwirtschaft. Vor allem der privatwirtschaftliche Geschosswohnungsbau kam in diesen Jahren fast völlig zum Erliegen. Dennoch wurden selbst in Zeiten der Hyperinflation gebaut. Eine Auswahl möchten wir Ihnen vorstellen.
Eine Blockhütte à la mode
Das Haus Sommerfeld (1920 – 1921) am Botanischen Garten in Berlin gilt als erstes Gemeinschaftsprojekt des Bauhauses. Das Holzhaus mit moderner Doppelwandkonstruktion und einer Dämmung aus Kokosschlacke sollte nach Auffassung seines Architekten Walter Gropius bis hin zu den Buntglasfenstern und Teppichen ein Gesamtkunstwerk darstellen.
Sein Bauherr, der Holzunternehmer Adolf Sommerfeld, war im Ersten Weltkrieg zu großem Vermögen gekommen. Da Stahl knapp war, entwickelte Sommerfeld einen industriell gefertigten Hallenbau aus Holz für die Industrie. Sein Erfolg ermöglichte es ihm, antizyklisch zu investieren. Als die Bauwirtschaft Anfang der 1920er Jahre am Boden lag, kaufte er riesige Grundstücke in Berlin-Zehlendorf.
Beeindruckend ist auch Sommerfelds Pragmatismus. Nach Kriegsende baute er abgewrackte Marineschiffe zu Frachtern für den Export seiner Holzhäuser um. Die Wandvertäfelung aus der Offiziersmesse integrierte er in seine Villa.
Ein Gebäude so rasant wie seine Zeit
Das Mossehaus im Berliner Zeitungsviertel beherbergte seit 1903 das Berliner Tageblatt, das auflagenstärkste Leitmedium des Kaiserreichs. Während des Spartakusaufstands 1919 wurde das Gebäude durch Artilleriebeschuss schwer beschädigt.
Im Zuge des Wiederaufbaus (1921 – 1923) stellte der junge Architekt Erich Mendelssohn das Portal in gänzlich neuen Formen wieder her und erweiterte das Verlagsgebäude um zwei Geschosse. Mit seiner horizontalen Gliederung und der dynamischen Ecklösung gilt das Mossehaus als erstes Werk der Stromlinien-Moderne.
Vielleicht ließ sich Mendelssohn von dem 1921 in Berlin vorgestellten Rumpler-Tropfenwagen inspirieren, dem ersten im Windkanal optimierten Serienfahrzeug der Welt. Vielleicht dachte er auch an die Krümmung der Raumzeit, wie sie die Relativitätstheorie postulierte, zu deren Beweis er zeitgleich den Einsteinturm in Potsdam plante. Auf jeden Fall war sein Gebäude auf der Höhe der Zeit.
Ein Haus für die Schulden
Auch die öffentliche Hand blieb in diesen Jahren nicht untätig. Sie errichtete an der Ecke Oranienstraße/Alte Jakobstraße ein Gebäude für die Reichsschuldenverwaltung. Die 1919 neu gegründete Institution entstand im Zuge der Modernisierung der Finanzverwaltung in der jungen Demokratie. Die Schuldenquote des Deutschen Reiches lag aufgrund der immensen Kriegsausgaben bei 133 % des BIP.
Die lange Bauzeit von 1919 bis 1924 ist eine direkte Folge der Krisenzeit. In einer zeitgenössischen Kritik heißt es dazu: „Erschwerend wirkten ferner der Mangel an Baumaterial und die fortschreitende Entwertung des Geldes. Die Bauverwaltung überwand diese Schwierigkeiten dadurch, daß sie sich durch schnellen Zugriff die meisten Rohstoffe zu der Zeit sicherte, in der sie verhältnismäßig billig waren.“
Die Straßenfassade des Backsteinbaus von German Bestelmeyer überwältigt durch eine schier endlose Reihung der immer gleichen Fensterachsen, zwischen denen breite Pfeiler hervortreten. Vor allem in den spitzen Giebeln des Erdgeschosses finden sich Anklänge an den Expressionismus.
Berlin, den 31.08.2023
Sebastian Freiseis

Autor
Sebastian Freiseis
studierte Germanistik, Philosophie sowie Literatur- und Kulturtheorie an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und der University of Nebraska-Lincoln.
Quellen:
Jens Bisky: Berlin: Biographie einer großen Stadt. Berlin 2019.
Celina Kress: Adolf Sommerfeld | Andrew Sommerfield. Bauen für Berlin 1910 – 1970. Berlin 2011.
Fritz Stahl: Neubau der Reichsschuldenverwaltung. In: Wasmuths Monatshefte für Baukunst und Städtebau 9 (1925), S. 43 – 48.